Zum Hauptinhalt springen

Ein mühsames Geschäft

Medikamente – insbesondere Psychopharmaka - für die Partnerorganisationen zu besorgen ist (und bleibt) eine langwierige und leider oft frustrierende Angelegenheit! Wir möchten heute gerne einmal exemplarisch die Hürden darstellen, die eine Sammelbestellung für die Elfenbeinküste dieses Jahr überwinden musste:

Seit der ersten Anfrage beim Medikamentenhilfswerk „Action Medeor“ im April 2023 bis zum letztendlichen Erhalt der Lieferung im Zentrum des CJK in Korhogo letzten Montag, den 18. September sind insgesamt fünf Monate vergangen. Dabei stellt die Beschaffung der so dringend benötigten Medikamente selbst in Deutschland das erste Problem dar: Obwohl es sich um Antipsychotika und Antikonvulsiva der ersten Generation handelt, müssen diese z.T.  in Indien geordert werden. Nach wie vor scheint es überall Engpässe in der pharmazeutischen Versorgung zu geben! Letztendlich standen die insgesamt rund 800 Schachteln mit Tabletten gegen Schizophrenie, Psychosen und Epilepsie dann im Juli zum Versand bereit. Die Air France lieferte die Ware auch planmäßig am 30. Juli in der ivorischen Hauptstadt Abidjan an.

Von diesem Zeitpunkt an beginnt die zweite große Herausforderung: Die Verzollung am Flughafen sowie die Freigabe der Medikamente durch die ivorischen Behörden stellen die Verantwortlichen der Partnerzentren jedes Mal auf eine große Geduldsprobe! Trotz offizieller Bescheinigung, dass es sich um Spenden handelt, versuchen die Zollbehörden in Anbetracht des - tatsächlich nicht unerheblichen Warenwerts von fast 24.000 € - unzulässigerweise „Gebühren“ zu fordern. Dem zu widersprechen kostet die Verantwortlichen stattdessen viel Zeit und Nerven.

Danach übernehmen die für Medikamentensicherheit zuständigen Behörden in Abidjan die Ware zur Qualitätskontrolle. Und das dauert… ! Insgesamt vergingen dieses Mal 7 Wochen seit Ankunft der Medikamente in Abidjan, bis die Freigabe erfolgte. Am 18. September konnte dann endlich der sehnsüchtig erwartete Nachschub für die Basisversorgung auf den Weg zu den drei Zentren im Landesinneren gebracht werden.

Insgesamt ist also eine frühzeitige Planung zwingend geboten und ein enger Kontakt mit den verschiedenen beteiligten Behörden unbedingt erforderlich. Wir sind froh, dass unsere Partnerzentren diese Herausforderung mit viel Zähigkeit, guter Vernetzung und unendlicher Geduld erfolgreich meistern, um ihren Patientinnen und Patienten zuverlässig die benötigte medikamentöse Therapie ermöglichen zu können!

Unser Dank an dieser Stelle auch den vielen Spenderinnen und Spendern, die die finanzielle Grundlage schaffen, damit wir die wichtige Unterstützung zur internationalen Beschaffung ermöglichen können! In der Elfenbeinküste selbst sind die meisten Medikamente nämlich nicht in ausreichender Menge verfügbar. Hier muss sich auf nationaler Ebene noch viel tun, um die Versorgung der psychisch kranken Menschen im Land sicherzustellen. 

Rundbriefe

Rundbriefsammlung - Menschen ohne Ketten

Neuigkeiten aus dem Verein sowie einen Ausblick auf die nächsten Monate möchten wir wie gewohnt übermitteln.
Wir wünschen Ihnen eine gute Zeit in diesem tropischen Sommer und bleiben Sie gesund!
Eva Sodeik-Zecha und der Vorstand

2023 Juli

Nouvelles 1. Halbjahr 2023

Das Jahr 2023 startete mit der Weiterführung der meisten laufenden Förderungen. Im Frühjahr standen jedoch die Abschlüsse von gleich zwei unserer großen, extern finanzierten Programme an. Darüber gibt es ein paar Details zu berichten, ebenso wie über die Entwicklung in der Zusammenarbeit mit unseren beiden neuen Partnerorganisationen, ABASMEI in Ouagadougou sowie ADIAS in der Elfenbeinküste.

Weiterlesen … Rundbriefe

Im Austausch auf neue Wege stoßen

UCI Korhogo CJK Centre Jubile Korhogo Coul mit Patientin 001nser Koordinator in der Côte d’Ivoire, Adama Coulibaly, war im Juli 2023 wieder auf Arbeits-Besuch in Reutlingen. Er nutzte die Zeit für den Austausch mit dem Vereinsvorstand und der Geschäftsführung, aber auch für mehrere Treffen mit Mitgliedern. So auch ein Gespräch mit unserem Mitglied Renate Of, die mehr über die Ursprünge und seine Motivation zur Zusammenarbeit mit Menschen ohne Ketten erfahren wollte.

Hier ihr Bericht:

Weiterlesen … Im Austausch auf neue Wege stoßen

Reisen erweitert den Horizont

Diese Erfahrung machte auch die Ärztin Dr. Evaline Sawadogo aus Burkina Faso bei ihrem Besuch in Reutlingen vom 5. bis 23. März. Seit vielen Jahren engagiert sie sich ehrenamtlich im psychiatrischen Zentrum von Bobo-Dioulasso, dem Centre Notre Dame de l’Espérance. Und nun erlebte sie im Rahmen einer vom Verein oganisierten Hospitation die große Bandbreite der gemeindepsychiatrischen Angebote in Reutlingen. Neben den unterschiedlichen Behandlungsangeboten der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik (PP.rt) lernte Dr. Evaline Sawadogo auch die Arbeit in verschiedenen betreuten Wohnformen für Menschen mit einer psychischen Erkrankung in der Gemeindepsychiatrie kennen, sei es im Rahmen von Einzelbetreuung, Paarwohnen und dem Leben in Wohngemeinschaften bei den Gemeindepsychiatrischen Hilfen (GP.rt) oder in einer Gastfamilie beim Verein für Sozialpsychiatrie (VSP). Evaline Sawadogo ist beeindruckt: “Ich bewundere das umfassende und qualitativ hochwertige Versorgungsangebot, das auf die spezifischen Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten eingeht. Ganz toll finde ich die Möglichkeit, eine umfassende häusliche Betreuung in Anspruch zu nehmen, die sogar durch staatliche Leistungen oder die Krankenversicherung getragen wird – das gibt es bei uns leider nicht!”

Besonders gefallen hat der Ärztin die Musiktherapie, denn sie ist überzeugt: „Musik hat nonverbale und emotionale Qualitäten, die zu einem besseren Wohlbefinden der Menschen beitragen können“. Auf großes Interesse stieß auch das Kontaktcafé im Zentrum für Gemeindepsychiatrie in Reutlingen, das einen geselligen Rahmen Kontakt und Freizeitgestaltung ermöglicht.

Neben den vielfältigen fachspezifischen Erfahrungen kamen auch die persönlichen Begegnungen mit Mitgliedern unseres Vereins nicht zu kurz. So wohnte sie mit ihrem kleinen Sohn während ihrer Hospitation bei einem Vereinsmitglied, was neben der Begleitung im Alltag der beiden auch vielfältige weitere Begegnungen und Einladungen mit sich brachte. Andere Mitglieder ermöglichten Ausflüge in der weiteren Umgebung. Es war eine spannende Zeit für Dr. Evaline Sawadogo, die sicher noch lange an ihre Erlebnissen zurück denkt.
“Ich möchte allen von Herzen danken für die vielen lehrreichen Erfahrungen. Sie haben mich mit offenen Armen empfangen, was meinen Aufenthalt sehr angenehm gemacht hat!”

Beten für die Gesundheit

In Westafrika ist für viele psychisch erkrankte Menschen der Weg in eines der vielen „Gebetszentren“ mit der Hoffnung verbunden, mit Hilfe des Glaubens und starker Gebete von ihrem Leiden befreit zu werden. Leider führt die „Behandlung“ in einiger dieser Zentren eher zu zusätzlichen Problemen als zu einer Lösung:

Oft werden die Betroffenen erneut angekettet und isoliert. Im schlimmsten Fall versuchen die Verantwortlichen die (vermuteten) Dämonen mit drakonischen Maßnahmen auszutreiben. Nahrungsentzug, Schläge oder Kaltwassergüsse verschlechtern aber fast immer den Gesundheitszustand der Patient*innen und führen – bei längerer Anwendung – im schlimmsten Fall zu Todesfällen. Die Problematik der menschenrechtswidrigen Praktiken für psychisch Kranke in Gebetszentren ist weltweit verbreitet, wie der Bericht „Living in chains“ von Human Rights Watch im Jahr 2020 deutlich machte. Auch in unseren Partnerländern – der Elfenbeinküste und Burkina Faso – existieren viele Gebetszentren, meist in Verantwortung evangelikaler Kirchen. Sie werden stark nachgefragt: weil die Bevölkerung sehr gläubig ist, aber auch aufgrund ihrer starken räumlichen Verbreitung und der meist kostengünstigen Aufnahme.

Neue Wege in der Hilfe für psychisch Erkrankte

Da sich unser Verein dem Ziel verschrieben hat, Menschen mit psychischen Erkrankungen von ihren Ketten zu befreien, müssen wir uns auch diesem schwierigen Thema annehmen. Startpunkt in der Elfenbeinküste ist seit November 2022 die Kooperation mit einer protestantischen Kirche, der CMA, die selbst über 400 Gebetszentren im Land betreibt. Seit 2022 sind wir im Gespräch mit ADIAS, der entwicklungsorientierten Einheit der Kirche, um die Problematik der Misshandlungen sowie der fehlenden medizinischen Behandlung in den Zentren zu lösen. Dreh- und Angelpunkt sind dabei die Verantwortlichen der Gebetszentren, die sog. Propheten: Wenn diese nicht in der Lage sind, eine schwere psychische Erkrankung zu erkennen bzw. sich weigern, diese von einem medizinischen Experten medikamentös behandeln zu lassen, geht das unnötige Leiden der betroffenen Menschen weiter.

Daher freuen wir uns sehr, dass wir im Rahmen eines ersten Pilotprojekts gemeinsam mit ADIAS versuchen, das Problem bei der Wurzel zu packen: In rund 180 Gebetszentren im Westen des Landes wurden die Verantwortlichen zur Behandlung psychisch kranker Patient*innen befragt. Deutlich wurde, dass es in der Tat ein Defizit der Wahrnehmung psychischer Erkrankungen gibt. Drei regionale Fortbildungen mit jeweils 50-60 Verantwortlichen von Gebetszentren konnten im Februar und März 2023 bereits die Grundlage für ein verbessertes Verständnis der psychiatrischen Krankheitsbilder sowie den richtigen Umgang mit Erkrankten legen. Geplant ist weiterhin, in Kooperation mit den lokalen Gesundheitsdiensten eine fachliche Behandlung für psychiatrische Patient*innen der Gebetszentren anzubieten.

Mit dieser Kooperation wollen wir wichtige erste Schritte unternehmen, um humanere Bedingungen für die betroffenen Menschen in Gebetszentren zu ermöglichen. Uns ist bewußt, dass es ein langer Weg ist, bis alle Menschen mit psychischen Erkrankungen eine adäquate Behandlung erhalten – und wir hoffen dabei auch auf Ihre Unterstützung!